Diana und Aktäon
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Inventar Nr.:
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KP B VI/II.35 |
Bezeichnung:
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Diana und Aktäon |
Künstler / Hersteller:
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Jacob Dobbermann (1682 - 1745), Zuschreibung
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Datierung:
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1. H. 18. Jh., um 1715-1720 (?) |
Objektgruppe:
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Skulptur / Plastik, Relief |
Geogr. Bezug:
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Kassel |
Material / Technik:
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Elfenbein, gesägt,gebohrt, geschnitzt und poliert |
Maße:
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11,9 x 22,4 x 1,8 cm (Objektmaß)
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Katalogtext:
Beschreibung
Umgeben von ihren Nymphen steht die bis auf ein Tuch, das ihre Scham bedeckt, unbekleidete Diana knietief in einem kleinen Gewässer im Wald. Ihr rechter Arm ruht angewinkelt auf einer von einem Tuch bedeckten Erhöhung, mit dem linken weist sie in die Richtung des Eindringlins. Um der Göttin ein ungestörtes Bad zu ermöglichen, sind an den Bäumen Tücher aufgespannt. Die Nymphen lagern auf einer Lichtung im Wald am Wasser oder sind ebenfalls bereits ins Wasser gestiegen.
Von rechts nähert sich ein junger Mann, Aktäon, mit einem Speer und einem Köcher über der Schulter. Zwei Jagdhunde folgen dem Jäger, der zwischen Bäumen unvermittelt auf die Lichtung tritt, wo die Nymphen sich erfrischen.
Die Figuren des länglichen horizontalen Reliefs sind von unterschiedlicher Qualität. Aktäon stolpert unbeholfen zwischen zwei Baumstämmen hervor; die Perspektive ist nicht gelungen, weshalb die Darstellung plump und gedrungen wirkt. Auch die Nymphen im Hintergrund zwischen Diana und Aktäon wirken wenig graziös. Diana hingegen, deren Körper eine leichte Drehung vollführt, strahlt Eleganz aus. Obwohl sie von Aktäon überrascht wurde, aus dessen Haupt bereits ein kleines Geweih ragt, wirkt sie gelassen. Sie blickt Aktäon nicht entgegen, sondern weist nur lässig mit der linken Hand in seine Richtung, während die sie umgebenden Nymphen einander auf den Eindringling aufmerksam machen. Erschrocken wirkt nur die Nymphe hinter Diana, die den Arm einer weiteren, in die Richtung Aktäons weisenden Frau umklammert. Die beiden Repoussoirfiguren im Vordergrund, die Nymphe, die vor Diana auf dem Boden sitzt und sich zu den Gefährtinnen zu ihrer Linken umsieht sowie der links von ihr stehende Rückenakt gaben dem Künstler die Möglichkeit, seine Fähigkeiten in der Darstellung nackter Körper unter Beweis zu stellen. Der linke Fuß der Nymphe ragt zudem vollplastisch aus dem Relief heraus, wodurch der Künstler mit dem zwei- und dreidimensionalen Raum spielt und seine Virtuosität bei der Bearbeitung des Materials zur Schau stellte.
Ikonographie / Literarische Vorlage
Die Geschichte von Diana und Aktäon erzählt Ovid in seinen Metamorphosen (III, 155-252, hier 155-200). Diana, die häufig nach dem Jagen eine im Wald versteckte, von Bäumen umsäumte Grotte mit Quelle aufsuchte, um sich hier zu baden und gemeinsam mit ihren Nymphen zu erfrischen, wird unvermittelt von Aktäon überrascht, der unbeabsichtigt den abgelegenen Ort im Wald betritt. Obwohl sich die Nymphen um Diana drängen, um sie vor den Blicken eines Mannes zu schützen, ist die Göttin erzürnt über die unerlaubte Störung. Sie bespritzt Aktäon mit Wasser, worauf sich dieser in einen Hirsch verwandelt und von seinen eigenen Hunden zu Tode gehetzt wird.
Das Thema war in der Kunst der Frühen Neuzeit beliebt und fand in allen Medien Verbreitung. Diana im Bade oder Diana und Aktäon fand als Szene bei der Gestaltung von fürstlichen Gemächern und Bädern Verwendung, wurde auf Gemälden, in Reliefs, Kupferstichen und auf Tapisserien dargestellt und auf unterschiedliche Weise interpretiert, wobei für Künstler und Auftraggeber die Darstellung des nackten menschlichen Körpers besonders reizvoll war, um das eigene künstlerische Können unter Beweis zu stellen oder sich daran zu erfreuen. Vor allem über Kupferstiche und andere druckgrafische Medien verbreiteten sich Kompositionen berühmter Künstler wie Tizian europaweit.
Zuschreibung und Datierung
Das Relief ist weder signiert noch datiert. Aufgrund stilistischer Merkmale, die in anderen Werken des seit 1716 in Kassel tätigen Künstlers Jacob Dobbermann wiederzufinden sind, ordnete Claudia Nickel, die eine Monographie über Dobbermann verfasste, es seinem Œuvre zu. Vor allem die Figur Aktäons mit den zu langen Armen und zu kurzen Beinen erinnert an allegorische Figuren, die Dobbermann später in Kassel schuf. Möglicherweise entstand das Relief als frühe Arbeit des Künstlers in Kassel, den Landgraf Carl 1716 als Bernstein- und Elfenbeinarbeiter in seine Dienste genommen hat. Denkbar ist aber auch, dass Dobbermann das Relief zu einem früheren Zeitpunkt, vielleicht kurz vor seinem Umzug nach Kassel geschaffen hatte und es dem Landgrafen als Beispiel für seine Arbeit präsentierte. Belegen lässt sich dies jedoch nicht.
Vorlage
Auffällige Ähnlichkeit der Darstellung von Diana und der Haltung der hinter ihr stehenden Nymphe sowie der in Rückenakt dargestellten Nymphe, die Dobbermann allerdings ohne Draperie und seitenverkehrt wiedergibt, besteht zu einem Entwurf des Malers Johann Oswald Harms für ein 1682 entworfenes Deckengemälde (vgl. http://kk.haum-bs.de/?id=z-03700 [7.11.2021]). Der Beschriftung auf dem Blatt nach führte Harms den Entwurf im Gemach der Herzogin in Eisenberg aus (vgl. ebd.). Eisenberg war der Sitz Herzog Christians von Sachsen-Eisenberg (1653-1707, vgl. W. Huschke, in: NDB, 3 (1957), S. 232. [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119052520.html#ndbcontent [7.11.2021]), einem Bruder von Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1646-1691), mit dem Landgraf Carl eine enge freundschaftliche Beziehung verband. In zweiter Ehe hatte er 1681 Sophie Marie von Hessen-Darmstadt (1661-1712) geheiratet. Das Deckengemälde von Diana und Aktäon war also für ihr Gemach bestimmt.
Johann Oswald Harms war an vielen Höfen tätig, wo er Wand- und Deckengemälde sowie Bühnendekorationen für Opernaufführungen entwarf (vgl. Pegah 2017). Für Landgraf Carl und dessen Frau Landgräfin Maria Amalie war er ebenfalls tätig. Sowohl im Kasseler Residenzschloss als auch in den Jagd- und Lustschlössern im Umland und in dem von Landgraf Carl errichteten Kunsthaus führte er Wand- und Deckenmalereien aus. Spätestens 1702 ließ er sich ganz in Kassel nieder, wo er 1708 starb (vgl. ebd). Sein Sohn Anton Friedrich Harms wurde ebenfalls Maler. Er ordnete den Nachlass seines Vaters in Klebebänden, die heute im Besitz des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig sind (Vgl. http://kk.haum-bs.de/?id=z-03700 [7.11.2021]). Harms blieb nach dem Tod seines Vaters zunächst in Kassel, wo er 1745 auch starb. 1737 ernannte ihn der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel zum Hofmaler des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel und erteilte ihm die Aufsicht über die Gemäldegalerie in Salzdahlum, was erklärt, wieso die Klebebände mit den Zeichnungen seines Vaters heute im Besitz des HAUM sind.
Da Anton Friedrich den zeichnerischen Nachlass seines Vaters besaß, zu dem auch der Entwurf Diana und Aktäon zählt, ist es denkbar, dass er sich mit Jacob Dobbermann austauschte und ihm einige der Zeichnungen als Vorlagen zur Verfügung stellte.
Da für andere Elfenbeinarbeiten und vor allem mythologische Darstellungen Jacob Dobbermanns jedoch belegt ist, dass er sich sehr genau an Stichvorlagen orientierte (vgl. KP B VI/II.26, KP B VI/II.42, KP B VI/II.43) und diese abgesehen von der Übersetzung in ein anderes Material nicht variierte, ist es recht wahrscheinlich, dass auch für das vorliegende Relief eine druckgrafische Vorlage existierte, die bislang jedoch noch nicht identifiziert werden konnte. Andernfalls würde es sich um eine aus unterschiedlichen Vorlagen zusammengesetzte Komposition Jacob Dobbermanns handeln, ein Vorgehen, das für seine allegorischen Reliefs charakteristisch ist (vgl. z.B. KP B VI/II.25, KP B VI/II.55).
Sammlungsgeschichte / Provenienz
„Das bad der Dianae, in einem schwartz gepeitzten rahme mit glas bedeckt“ (Weinberger 2015, S. 70.) ist 1744 als Elfenbeinarbeit im Inventar des Kunsthauses verzeichnet. Da im Bestand der Museumslandschaft Hessen Kassel kein anderes Elfenbeinrelief mit diesem Thema überliefert ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Eintrag sich auf das Relief Diana und Aktäon bezieht. Sicher nachgewiesen ist es allerdings erst im Inventar des Museums Fridericianum (Inventar B VI, S. 31, Nr. 35).
Vergleichswerke
Johann Oswald Harms, Eisenberg: Entwurf zu einem Deckengemälde: Diana und Aktäon, 1682, (vgl. http://kk.haum-bs.de/?id=z-03700)
(Elisabeth Burk, 29.11.2021)
Inventare:
- Summarisches Inventarium. Über die in dem königl. und hoch-fürstl. Kunst-Hause so genannten Medaillen-Cammer befindlichen Pretiosa und anderen Sachen. 1744 / 1747, S. 197.
Literatur:
- Nickel, Claudia: Der Bernstein- und Elfenbeinschnitzer Jacob Dobbermann (1682-1745). Hausarbeit zur Erlangung des Magistergrades [...] der Universität Göttingen. Göttingen 1985, S. 35; 48; 82 f., Kat.Nr. 25.
- Pegah, Rashid-S.: Johann Oswald Harms in Kassel. In: Landgraf Carl (1654-1730). Fürstliches Planen und Handeln zwischen Innovation und Tradition (2017), S. 329-341.
- Inventar B VI. Inventar der Gegenstände von Bernstein, Elfenbein, Holz, Stein [...]. [Kassel] nach 1779, S. 31, Kat.Nr. 35.
- Inventar B VI Copia. Museum. Inventarium über Kunstsachen von Bernstein, Elfenbein, Agath, Holz, gebrannte Erde und andern mehr. [Kassel] nach 1779, S. 32, Kat.Nr. 35.
Letzte Aktualisierung: 27.06.2024